Deutschlands bekanntester Jazztrompeter Till Brönner hat mit seinem neuen Album „Italia“ nicht nur die Charts erobert, sondern auch eine sehr persönliche Liebeserklärung an seine Kindheit veröffentlicht. Im NOT TOO OLD Podcast spricht Till Brönner über das Älterwerden, Kreativität, Jazz im Allgemeinen und die Kraft der Improvisation in unsicheren Zeiten.
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Mit 53 Jahren hat Till Brönner längst alles erreicht, was sich ein Musiker wünschen kann: über 20 Alben, Gold- und Platin-Status, mehr als eine Million verkaufte Platten und unzählige Preise. Dennoch wirkt der gebürtige Rheinländer alles andere als müde oder selbstzufrieden. Im Gegenteil: Seine Fünfziger genießt er sehr bewusst und ohne den oft befürchteten Schock, wenn plötzlich die Fünf vorne steht.
Entspanntes Älterwerden
Brönner begegnet dem Älterwerden mit einer bemerkenswerten Gelassenheit. Das Alter findet er weniger interessant als den Austausch mit Menschen jeden Alters. Diese Einstellung kommt nicht von ungefähr, denn gerade in der Musikbranche ist Berufsjugendlichkeit weniger gefragt als in anderen Bereichen. Trotzdem bleiben die kleinen Zipperlein nicht aus: die Sehleistung lässt nach und die körperlichen Anforderungen des Trompetenspielens werden spürbarer. Aber statt zu hadern, passt er sich an und betritt die Bühne einfach immer häufiger auch mit Brille.
Italien als Sehnsuchtsort
Sein neues Album „Italia“ ist mehr als nur eine Hommage an italienische Musik der sechziger bis achtziger Jahre. Es ist eine Reise zurück zu seinen Wurzeln. Die ersten fünf Lebensjahre verbrachte Brönner in Rom, umgeben von all den Aromen, Gerüchen und Annehmlichkeiten, die Italien ausmachen. Diese frühe Prägung hat ihn nachhaltig beeinflusst. Und das nicht nur musikalisch, sondern auch in seinem Verhältnis zu Mode und Stil.
Die Authentizität war ihm bei diesem Projekt besonders wichtig. Statt das Album in Deutschland aufzunehmen, reiste er extra nach Italien, arbeitete in Studios in Rom und Bari mit italienischen Musikern zusammen. Diese Entscheidung zahlte sich aus: „Italia“ stieg auf Platz 5 der deutschen Album-Charts ein – seine bisher höchste Platzierung.

Die Herausforderungen der Streaming-Ära
Trotz des Charts-Erfolgs macht sich Brönner keine Illusionen über die aktuellen Verhältnisse in der Musikindustrie. Zwar erreicht Musik heute mehr Menschen denn je, aber die Vergütung für Künstler ist durch das Streaming dramatisch gesunken. Er prophezeit, dass sich dieses Pendel wieder zurückschlagen wird, weil sich Menschen zu sehr daran gewöhnt haben, dass Musik wie Wasser aus dem Hahn kommt. Ohne zu bedenken, was dahinter steckt.
Improvisation als Lebensprinzip
Jazz war schon immer ein Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen und die Kunst des Improvisierens gewinnt aus seiner Sicht in unsicheren Zeiten wieder an Bedeutung. Improvisation kommt dann zum Tragen, wenn Plan B gebraucht wird oder wenn etwas Unerwartetes passiert, mit dem man umgehen muss. Diese Fähigkeit sieht Brönner als zunehmend wichtig an, da wir alle ständig verschiedene Szenarien im Kopf durchspielen.
Leben zwischen Familie und Karriere
Als klassischer Freiberufler ist für Till Brönner kein Tag wie der andere. Etwa 30 Prozent seiner Zeit verbringt er zu Hause, den Rest ist er unterwegs. Seit er noch einmal Vater geworden ist, genießt er die Zeit mit der Familie umso mehr. Das Reisen ist für ihn inzwischen der anstrengendste Teil seines Berufs, nicht die Musik selbst, die würde er sogar kostenlos machen.
Kreativität und Selbstkritik
Was hält einen Künstler nach 30 Jahren Karriere noch frisch und motiviert? Für Till Brönner ist es die ständige Auseinandersetzung mit der Wahrheit über die eigene Entwicklung. Die wichtigste Frage, die er sich stellt: Ist die neueste Arbeit tatsächlich noch kreativ oder stagniert man bereits? Diese Selbstreflexion verhindert, dass er sich auf seinen Lorbeeren ausruht.

Jazz als Nischenkulturgut
Die Popularität des Jazz war historisch gesehen immer begrenzt. Nur wenige Jahre war Jazz wirklich Popmusik. Heute ist die mediale Präsenz fast nicht mehr messbar, Jazz überlebt hauptsächlich im öffentlich-rechtlichen Bereich. Aber Brönner sieht das gelassen: Jazz wird es immer geben, weil er wie keine andere Musik Sprachbarrieren überwindet und das Verhandeln mit brauchbaren Kompromissen ermöglicht.
Mentoring und Weitergabe
Als Professor an der Hochschule für Musik in Dresden gibt Brönner sein Wissen an junge Musiker weiter. Seine wichtigste Botschaft: Den Weg, den er gegangen ist, wird heute niemand mehr gehen können. Jeder muss sich mit den aktuellen Umständen arrangieren. Früher reichten ihm Auftritte bei Roger Willemsen und ein Porträt in einer überregionalen Zeitung für ein erfolgreiches Album, heute müssen sich Musiker permanent selbst vermarkten und filmen.
Körperliche Fitness als Grundlage
Trompetenspiele ist Hochleistungssport. Der Kalorienverbrauch entspricht dem von Schwerstarbeit, die Lippen schwingen bis zu tausendmal pro Sekunde. Brönner betreibt gezieltes Training für die Gesichtsmuskulatur, also eine Art Bodybuilding für die Lippen. Zusätzlich macht er Rückenübungen als Ausgleich zur oft krummen Haltung beim Spielen und stemmt dazu gelegentlich Gewichte.
Fotografie als zweite Leidenschaft
Neben der Musik hat sich Brönner als Fotograf etabliert. Den Impuls dazu gab ein Dokumentarfilm über den amerikanischen Jazz- und Modefotografen William Claxton, für den er die Musik komponierte. Er erkannte, dass die Gesetzmäßigkeiten der Fotografie auf denselben Prinzipien basieren wie in der Musik. Inzwischen fotografiert er regelmäßig Musiker und Prominente.
Musik als universelle Sprache
Wenn Brönner für politische Anlässe spielt, macht er keinen Wahlkampf, sondern stellt seine Kunst in den Dienst der Völkerverständigung. Musik hat die Kraft zu einen und das Gemeinsame zu finden. Für ihn eine Eigenschaft, die gerade in polarisierten Zeiten wichtig wird. Jazz bietet dabei eine besondere Qualität: Er kann auf intelligente Art kommentieren und ist ein Plädoyer für Verständigung.
Mit „Italia“ hat Till Brönner bewiesen, dass Rückbesinnung nicht Nostalgie bedeuten muss. Stattdessen kann sie neue Inspiration freisetzen. Gerade dann, wenn man im Vollbesitz seiner Kräfte ist und den Mut hat, persönliche Geschichten zu erzählen. In einer Zeit, in der vieles digital und oberflächlich wird, setzt er auf Handwerk, Authentizität und die Kraft echter menschlicher Begegnungen. Ein Ansatz, der nicht nur musikalisch überzeugt, sondern auch als Lebensentwurf für die zweite Lebenshälfte inspiriert.
Hier gibt es weitere Folgen unseres NOT TOO OLD Podcast.
Links zu Till Brönner
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Website von Till Brönner | www.tillbroenner.de |
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