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Movember 2025 – Wenn „Alles gut“ die gefährlichste Lüge ist

Es war gestern vormittags um zehn Uhr, als Rugby-Profi Ben Ellermann sagte: „Teamgeist endet nicht auf dem Spielfeld – auch mental müssen wir füreinander da sein.“ Der Sportler sitzt beim Online-Event „Männergesundheit 360°“ im Vorwege des Movember vor der Kamera und den Augen einer illustren Runde an Redakteuren und Journalisten, die sich um Themen für ältere Dudes kümmern. Und seine Worte finden Zustimmung. Neben ihm Thomas Dziurdzia, der seine eigene Geschichte teilt: „Früher dachte ich, Stärke heißt, alles wegzustecken. Heute weiß ich: Stärke ist, über Gefühle zu reden.“

Momente und Begegnungen wie diese zeigen, warum der Movember mehr ist als ein lustiger Schnurrbart-Trend. Es geht um Leben, insbesondere um Männerleben. Um Väter, Brüder, Freunde, Partner – und vielleicht um dich selbst. Daher berichten wir jedes Jahr über diese so wichtige Initiative des Movember, die deutlich mehr tut, als nur Super Marios und Magnums in das Straßenbild zu zaubern.

Der Schnurrbart als Lebensretter

Seit über 20 Jahren ruft die Movember Foundation jeden November dazu auf, sich einen Schnurrbart wachsen zu lassen, Spenden zu sammeln und das Bewusstsein für Männergesundheit zu schärfen. Was mit einer Handvoll Freunden in Australien begann, ist heute eine globale Bewegung, die über 945 Millionen Pfund gesammelt und Millionen Gespräche angestoßen hat. Auch 2025 startet die Kampagne wieder am 31. Oktober – und die Zahlen zeigen deutlich, warum das bitter nötig ist.

In Deutschland nehmen sich durchschnittlich 19 Männer pro Tag das Leben. 2021 waren es insgesamt rund 6.870 Männer – fast drei von vier Suiziden werden von Männern begangen. Dazu ist Prostatakrebs die häufigste Krebserkrankung und die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache bei Männern hierzulande. Mehr als 645.000 Männer leben mit oder nach einer Prostatakrebserkrankung. Und Hodenkrebs? Der trifft vor allem junge Männer zwischen 20 und 39 Jahren.

Diese Zahlen sind nicht einfach nur Statistik, denn hinter jeder einzelnen Diagnose stecken Schicksale. Es sind Menschen, die vielleicht noch leben könnten, wenn sie früher zum Arzt gegangen wären. Wenn sie geredet hätten oder wenn jemand hingeschaut oder nachgefragt hätte.

Wenn das Schweigen zum Verhängnis wird

Jocelyn Bannatyne weiß, was es heißt, zu spät hinzuschauen. Als ihr Bruder Ryan sich im vergangenen Jahr mit 27 Jahren das Leben nahm, blieb sie mit Fragen zurück, die keine Antworten haben. „Ryan war mein größtes Vorbild“, erzählt sie in der Pressemitteilung zur diesjährigen Movember-Kampagne. „Es gab keine Anzeichen, dass er mit seiner psychischen Gesundheit kämpfte. Er war fürsorglich, aufmerksam und immer für andere da.“

Ryan hatte zwei kleine Kinder. Er war geliebt. Und doch fühlte er sich offenbar so allein, dass er keinen anderen Ausweg mehr sah. Jocelyn beschloss zu handeln: Im November lief sie 60 Meilen für Movember – eine für jeden Mann, der weltweit pro Stunde durch Suizid stirbt. Heute ist sie Movember-Botschafterin. „Wenn meine Geschichte auch nur einem Menschen hilft, sich weniger allein zu fühlen oder Hilfe zu suchen, dann hat sich alles gelohnt.“

Genau darum ging es auch gestern bei unserem Online-Event. Dr. Christian Wagner, einer der teilnehmenden Mediziner, bringt es auf den Punkt: „Ein Check-up ohne mentale Vorsorge ist unvollständig – und umgekehrt.“ Männergesundheit ist eben nicht nur eine Frage von PSA-Werten und Tastbefunden. Sie beginnt im Kopf.

Depression trägt bei Männern oft eine Maske

Warum sprechen Männer so ungern über mentale Belastungen? Diese Frage steht im Zentrum des ersten Event-Teils. Die Antwort ist komplex und hat viel mit dem zu tun, was wir über Generationen gelernt haben: Ein Mann ist stark. Ein Mann hält aus. Ein Mann klagt nicht.

Das Problem: Depression sieht bei Männern oft anders aus als in Lehrbüchern beschrieben. Statt zurückgezogen und traurig zu wirken, werden viele gereizt, aggressiv oder flüchten sich in Arbeit, Alkohol oder riskantes Verhalten. Sie funktionieren nach außen und zerbrechen nach innen. Deshalb wird die Erkrankung häufig nicht erkannt, auch nicht von den Betroffenen selbst.

Thomas Dziurdzias Erfahrungsbericht macht Mut: Der Weg vom „Alles wegstecken“ zum „Über Gefühle reden“ ist möglich. Aber er braucht Vorbilder. Er braucht Räume, in denen Männer ehrlich sein dürfen. Und er braucht eine Kultur, in der Hilfe suchen nicht als Schwäche gilt, sondern als Verantwortung. Gegenüber sich selbst und den Menschen, die einen lieben.

Vorsorge ist keine Frage des Alters, sondern der Verantwortung

Während der erste Teil des Events die mentale Gesundheit beleuchtet, geht es im zweiten um die körperliche Vorsorge. Und hier wird es konkret: Ab wann solltest du zur Vorsorgeuntersuchung? Welche Checks sind wirklich wichtig? Und warum gehen immer noch so viele Männer erst dann zum Arzt, wenn es fast zu spät ist?

Die Fakten sind eindeutig: 6,9 Prozent aller Männer erhalten im Laufe ihres Lebens eine Prostatakrebsdiagnose und einer von 34 stirbt daran. Früherkennung kann Leben retten, denn rechtzeitig erkannt, sind die Heilungschancen bei Prostatakrebs gut. Trotzdem scheuen viele Männer den Gang zur Vorsorge. Aus Scham? Aus Angst? Aus dem diffusen Gefühl, dass „wird schon nichts sein“?

Auch Hodenkrebs wird oft zu spät diagnostiziert, obwohl er gerade jüngere Männer trifft und durch regelmäßiges Abtasten gut selbst zu erkennen wäre. 2022 wurden 4.254 Männer diagnostiziert, 176 starben an den Folgen. Zahlen, die mit mehr Aufmerksamkeit für den eigenen Körper deutlich niedriger ausfallen könnten.

Die Diskussion beim Event dreht sich um eine zentrale Frage: Wie schaffen wir es, Männer häufiger in die Vorsorge zu bringen? Die Antwort liegt auch hier in der Enttabuisierung. Wenn Sportler, Ärzte und Betroffene offen über ihre Erfahrungen sprechen, wenn Vorsorge zur Normalität wird statt zur peinlichen Ausnahme, dann verändert sich etwas.

Movember schafft Räume für Gespräche

Was Movember so erfolgreich macht, ist die Niedrigschwelligkeit. Du musst kein Aktivist sein, um mitzumachen. Du brauchst keine großen Reden zu schwingen. Es reicht, sich einen Schnurrbart wachsen zu lassen und damit sichtbar zu machen: Männergesundheit ist wichtig. Der „Mo“ – wie der Schnurrbart liebevoll genannt wird – ist ein Gesprächsöffner. Er lädt zum Nachfragen ein, zum Erzählen, zum Austausch. Mit einem Augenzwinkern empfiehlt Dr. Christian Wagner, sich einen richtig hässlichen und damit auffälligen Schnauzer zu züchten. Denn ansonsten fällt der Oberlippenbart aufgrund des aktuellen Trends zum „Schnorres“ vielleicht am Ende im Stadtbild gar nicht mehr auf.

Aber Movember bietet noch mehr Möglichkeiten, aktiv zu werden:

  • Move for Mental Health: Laufe oder gehe 60 Kilometer im November – für die 60 Männer, die jede Stunde weltweit durch Suizid sterben.
  • Host a Mo-ment: Lade Freunde ein, macht etwas zusammen und sammelt dabei Spenden.
  • Mo Your Own Way: Entwickle deine eigene Challenge, deine eigene Idee – Hauptsache, du tust etwas.

In diesem Jahr arbeitet Movember mit großen Organisationen zusammen, ist bei den World Boxing Championships in Liverpool als Mental Fitness Partner dabei und unterstützt die Rugby League Ashes Series. Auch die Partnerschaft mit Pringles geht weiter: Limitierte Snackdosen in Movember-Edition sollen Gespräche anstoßen und dafür sorgen, dass mehr Männer Hilfe suchen, bevor es zu spät ist.

Was Movember in Deutschland bewegt

Die gesammelten Spenden fließen nicht nur in große internationale Forschungsprojekte, sondern auch in lokale Initiativen, die direkt vor unserer Haustür wirken. Das RUPERT-Projekt etwa richtet sich gezielt an Einsatzkräfte und bietet ein Forum für psychische Gesundheit. „Ahead of the Game“ stärkt die mentale Fitness von Jungen und jungen Männern durch Sport und schult Trainer, Eltern und Spieler darin, Anzeichen seelischer Belastung zu erkennen.

Das Online-Tool „Movember Conversations“ hilft Menschen dabei, Gespräche mit Personen zu üben, die sich in einer schwierigen Lebenssituation befinden – auch auf Deutsch verfügbar. Und internationale Register wie die True North Global Registry oder die Ironman-Studie sammeln wichtige Daten zur Behandlung von Prostatakrebs, an denen auch Patienten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz teilnehmen.

Anne-Cécile Berthier, Movembers Europa-Chefin, fasst es so zusammen: „Ob jemand einen Schnurrbart wachsen lässt, 60 Kilometer läuft oder eine eigene Aktion startet – jeder Move zählt. Keine Spende ist zu klein. Zusammen können wir Väter, Brüder, Partner, Söhne und Freunde davor bewahren, zu früh zu sterben.“

Was du jetzt tun kannst

Der Movember beginnt am 31. Oktober mit einer glatten Rasur. Dann lässt du deinen Schnurrbart wachsen – oder du entscheidest dich für eine der anderen Aktionen. Aber eigentlich beginnt dein Movember genau jetzt, in diesem Moment. Mit der Entscheidung, dass Gesundheit Priorität hat. Dass Vorsorge keine lästige Pflicht ist, sondern ein Zeichen von Verantwortung. Dass Reden keine Schwäche ist, sondern Stärke.

Schau hin, wenn es einem Freund nicht gut geht. Frag nach, auch wenn es unangenehm ist. Geh zur Vorsorge, auch wenn du dich kerngesund fühlst. Und wenn es dir selbst nicht gut geht: Such dir Hilfe. Rede mit jemandem. Du bist nicht allein.

Wegsehen kann Leben kosten. Früherkennung und ehrliche Worte retten mehr Männer, als jede Stärke, die schweigt. Handeln heißt leben – für dich und für die Menschen, die dich lieben.

Der Schnurrbart ruft. Und mit ihm die Chance, etwas zu bewegen. Bist du dabei?


Hilfe in Krisen

Wenn du dich selbst in einer Krise befindest oder dir Sorgen um jemanden machst, gibt es Hilfe:

TelefonSeelsorge: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 (kostenlos, anonym, 24/7)
Online: telefonseelsorge.de (Chat und Mailberatung)
Krisenchat: krisenchat.de (SMS/WhatsApp, speziell auch für junge Menschen)
Akute Notfälle: Notruf 112

Mehr Infos und Anmeldung: movember.com, auch auf Instagram, youTube und Facebook

Kai Bösel
Kai Bösel
Kai Bösel (Jg. 1971) lebt als Patchwork-Papa mit der Familie in Hamburg. Neben NOT TOO OLD betreibt er auch das Väter-Magazin Daddylicious. Außerdem ist er Experte für Influencer-Marketing. Bisher hat er bereits fünf eigene Unternehmen gegründet, schreibt für diverse Print- und Online-Magazine, tritt als Speaker und Moderator auf und betreibt zu diesem Magazin auch einen Podcast. Nach Feierabend entspannt er beim Laufen oder Golf.

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